Aktualisierung am 09.10.2024
Teil 1
Als Julian Assange am 26. Juni 2024 nach 14 Jahren ungerechter juristischer Verfolgung den Gerichtssaal in Saipan/Marianen als freier Mann verließ, war dies für die Verteidiger der Informationsfreiheit ein Sieg – aber noch nicht der Durchbruch. Denn das formelle Schuldeingeständnis und die Anerkennung der Rechtmäßigkeit der im Deal vereinbarten 5-jährigen Haftstrafe haben eine gefährliche Machtexpansion des Militärs und der Geheimdienste zu Lasten der demokratischen Nationen zementiert.
Doch der zweite Sieg folgte bereits am 01. Oktober, als Assange seine erste öffentliche Erklärung in Straßburg, der Stadt des Europäischen Parlaments, abgab. Er bezwang die Feinde der Freiheit mit Ironie, indem er sagte, er habe sich „des Journalismus schuldig bekannt“, um aus der Haft entlassen zu werden. In derselben Erklärung gab der WikyLeaks-Gründer einen ersten Vorgeschmack dessen, was nötig ist, um das verfassungsmäßige Recht auf Information wiederherzustellen – ein Gegenangriff gegen die Verantwortlichen. Er beschuldigte den ehemaligen CIA-Direktor Mike Pompeo offen, während seines Aufenthalts in der ecuadorianischen Botschaft in London die Entziehung seiner Persönlichkeitsrechte und einen Entführungs- und Mordversuch gegen ihn initiiert zu haben.
Die Mainstream-Medien haben es lange versäumt, die Bürger über diese Machtverschiebung zum Nachteil der demokratischen Nationen aufzuklären. Das Gesetz, unter dem Julian Assange bis zu 175 Jahre Gefängnis angedroht wurden, der Espionage Act, stammt aus demselben Kriegsjahr 1917, in dem auch die Zensur- und Propagandabehörde Creel Committee geschaffen wurde. Beide verfassungswidrigen Initiativen entstammen der emotionsgeladenen Atmosphäre des Krieges, in welcher das kühle Denken betäubt ist.
Doch während das Creel Committee bereits 1919 wieder abgeschafft wurde, ist der Espionage Act, der bei Verdacht auf Hochverrat geschlossene Prozesse vor Sondergerichten vorsieht, bis heute in Kraft geblieben. Der Deal im Fall Assange vom Juni 2024 bringt der überfälligen Abschaffung dieses Gesetzes einen Schritt näher. Viel zu lange haben Medien und Politiker die verfassungswidrigen „Rechte“ des Sicherheitsapparats zum Nachteil der Nation ignoriert, durch welche dieser einer wirksamen demokratischen Kontrolle ausweichen konnte.
Zweifellos erfordern alle geplanten und ein Teil der laufenden Aktionen der Sicherheitskräfte eine geheime Handhabung. Aber die für den investigativen Journalismus relevanten Fälle, einschließlich der Aktivitäten von WikiLeaks, beziehen sich auf längst abgeschlossene Operationen. In diesen müssen die Bürger selbstverständlich über Fehlmanagement, Verbrechen und Prinzipienbrüche ihrer Sicherheitsinstitutionen exakt Bescheid wissen. Andernfalls ist kein Lernen aus vergangenen Fehlern möglich.
Da eine Nation der legitime Souverän des Staates ist, kommt ihrem Recht auf Wahrheit ein absoluter Vorrang zu. Demgegenüber stellt ein genereller Geheimhaltungsanspruch des Militärs und der Geheimdienste ein niederes Rechtsgut dar. Die routinemäßig vorgetrage Erklärung, dass selbst abgeschlossene Fälle aus „Gründen der nationalen Sicherheit“ weiterhin geheim gehalten werden müssten, kann als billiger Vorwand identifiziert werden, um sich der Verantwortung für Versäumnisse, kontraproduktive Operationen und Verbrechen zu entziehen.
Der Vorrang der Nation ist kein Luxus, sondern eine Überlebensnotwendigkeit, weil ein Mangel an effektiver demokratischer Kontrolle in den hierarchisch strukturierten Militär- und Geheimdiensten gefährlichen Entwicklungen den Weg ebnet. In deren Beförderungssystem bevorzugen Vorgesetzte automatisch Untergebene, die eine ähnliche Denkweise haben wie sie selbst. Dieser Mechanismus unterhält eine Gegenselektion; wie in den Hierarchien mittelalterlicher Adelsherrschaft haben Personen mit wenig Empathie einen Wettbewerbsvorteil und besetzen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit die Spitzenpositionen. Dies führt zu einem abnehmenden Verantwortungsbewusstsein und zur ungebremsten Expansion einer narzisstischen, militaristischen Mentalität.
Die Dimension dieser Gefahr zeigt die jahrzehntelange Reihe kontraproduktiver Aktionen des Sicherheitsestablishments, die erst durch die Arbeit von Whistleblowern wie Assange, Manning und Snowden ans Licht gebracht wurden. Zu diesen gehören Verstrickung in Drogenhandel, Folter und erniedrigender Behandlung von Zivilisten.1) Hinzu tritt wiederholte Fehlinformation der eigenen Bürger und Politiker wie beispielsweise in bzw. vor beiden Irak-Kriegen.
Mit dem Espionage Act im Rücken entwickeln sich Militär und Geheimdienste immer mehr zum Staat im Staat, in den USA und im Vereinigten Königreich sogar mit eigener Gerichtsbarkeit. Bereits 1961 hatte Dwight D. Eisenhower in klaren Worten vor der wachsenden Macht des MIC gewarnt, des militärisch-industriellen Komplexes, der sich aus hochrangigen Persönlichkeiten aus Militär, Politik und Rüstungskonzernen zusammensetzt.
Aber alle nachfolgenden US-Präsidenten außer John F. Kennedy haben diese Warnung ignoriert und sind weiter dem Weg eines selbstzerstörerischen Militarismus gefolgt. Dieser hat die Macht des MIC erweitert und gleichzeitig den Ruf des Westens als Vorbild für Freiheit und Demokratie ruiniert. Dieses Ergebnis bestätigt die Weitsicht des Gründervaters Thomas Jefferson, der einst sagte: „Ich hoffe, unsere Weisheit wird mit unserer Macht wachsen und uns lehren, dass unsere Macht umso größer sein wird, je weniger wir sie nutzen.“
Sogar der desaströse Abzug des amerikanischen Militärs aus Afghanistan im August 2021, bei dem die Taliban Waffen im Wert von über 80 Milliarden Dollar in die Hände bekamen, hat den westlichen Bürgern noch nicht hinreichend die Augen geöffnet. Diese fehlgemanagte Aktion war nur der Höhepunkt kontraproduktiver militärischer Aktivitäten ihrer Sicherheitskräfte. Diese haben über Jahrzehnte hinweg von Vietnam (1955-1975) bis Afghanistan (2001-2021) weder der Verbreitung der Demokratie noch westlicher Sicherheit gedient.
Stattdessen lautet die nüchterne Zusammenfassung, dass der MIC ausser dem Ruf der freiheitlichen Demokratie auch den des eigenen Militärs systematisch ruiniert hat - nämlich als gleichermassen brutal und erfolglos. Der Zweite Irakkrieg (2003-2011) kostete über eine halbe Million Zivilisten das Leben und die amerikanischen Steuerzahler fast eine Billion Dollar. Das Ergebnis dieser “Befreiung” des Irak durch die britisch-amerikanische “Koalition der Willigen” aus über 40 Staaten besteht in einem zerstörten und vergifteten Land, das genauso korrupt und mangelhaft demokratisch ist wie zuvor – nur mit mehr inneren Spannungen, mehr Terror und mehr Armut. Der daraus resultierende Reputationsverlust der USA und der Demokratie wurde weltweit als solcher wahrgenommen – außer im Westen.
Dort haben die unkritischen Mainstream-Medien nicht einmal registriet, dass im August 2021 das von der Supermacht USA und ihren Verbündeten getragene internationale Sicherheitsgefüge zusammengebrochen ist und eine tiefgreifende politische Wende bevorsteht – so oder so.
Ohne Korrektur führt der aktuelle Kurs über militärische Gewalt zum bereits propagierten Eine-Welt-Staat. Die entsprechenden “konstruktiven” Initiativen gehen von der UNO und einigen NGOs wie dem Weltwirtschaftsforum aus. Doch zu den wahren Kräfteverhältnissen führt die Frage, wer den Aktivitäten des MIC jahrzehntelang diese kontraproduktive, den Interessen der demokratischen Nationen zuwiderlaufende Richtung geben konnte, während Bürger und Politker daran gehindert waren, aus diesem Desaster zu lernen.2)
Glücklicherweise zeichnet sich ein alternativer gewaltfreier Entwicklungspfad ab. Dieser umfasst vor allem eine Modernisierung der demokratischen Kontrollmechanismen und einer Reform der Wirtschaft, nämlich von der Oligopolherrschaft hin zu einer wieder erfolgreichen fairen Marktwirtschaft. Weitere notwendige Reforminitiativen betreffen u. a. die Verwaltung (Entbürokratisierung), das Bildungswesen (Ersatz polarisierender Indoktrinierung durch Emanzipation), den Sicherheitsapparat (der vom tribalistischen Beförderungssystem zu befreien ist) und das Justizsystem (das ebenso und zusätzlich vom Einfluss der Politiker zu befreien ist).
Referenzen
1) https://www.npr.org/2020/11/20/937009453/the-cias-secret-quest-for-mind-control-torture-lsd-and-a-poisoner-in-chief
2) https://laroucheorganization.com/article/2024/01/22/who-owns-military-industrial-financial-complex
Teil 2
Julian Assange hat 14 Jahre der Verfolgung für die Verteidigung der Freiheit geopfert. Seine Gegner waren jedoch keine fremden Autokratien, sondern einflussreiche Kreise innerhalb des westlichen Militärs und der Geheimdienste. Es ist ein alarmierender Widerspruch, dass Assange die Verletzung demokratischer Prinzipien durch diese Sicherheitskräfte aufdeckte, während deren Aufgabe darin bestand, eben diese Prinzipien zu verteidigen.
Der Widerspruch lässt sich leicht auflösen, wenn man das Jefferson-Zitat in Teil 1 dieses Artikels vollständig verinnerlicht hat „Ich hoffe, unsere Weisheit wird mit unserer Macht wachsen und uns lehren, dass unsere Macht umso größer sein wird, je weniger wir sie nutzen.“ Während ihrer Gründungsjahrzehnte waren die Vereinigten Staaten die historisch vorherbestimmte führende Nation innerhalb eines Kreises befreundeter anderer Nationen, die mit ihnen die Ideale der freien Demokratie teilen. Dieser Kreis erweiterte sich zuerst in Europa, woher die amerikanische Bevölkerung hauptsächlich stammt. Im Allgemeinen erfolgte die Ausbreitung der freiheitlichen Demokratie ohne Gewalt, einfach indem man dem erfolgreichen Vorbild der USA folgte, welche durch ihre effektive freie Marktwirtschaft und die problemlose Integration der Einwanderer zum führenden Land der Welt wurden.
Diese friedliche Ausbreitung der freiheitlichen Demokratie hätte die Erde in die harmonische Gemeinschaft freier Nationen verwandeln können, für die die UNO fälschlicherweise gehalten wird. - Stattdessen gelang es undemokratischen und antiliberalen Kreisen mit britischen Wurzeln, in den USA Fuss zu fassen und die Republik und ihre faire Marktwirtschaft in ein Imperium des großen Geldes zu verwandeln, das von Oligopolen und der Herrschaft des Stärkeren dominiert wird.1)
Schlimmer noch, die friedliche, auf Idealismus basierende Ausbreitung wurde durch einen primitiven Militarismus ersetzt, der erstmals während der Präsidentschaft von William McKinley (1898-1901) in vollem Umfang praktiziert wurde. Dieser Militarist war auch der erste Kandidat, der durch einen großzügig finanzierten, professionell geführten Wahlkampf Präsident wurde. So wurde klar, wessen Interessen die amerikanische Politik von da an tatsächlich diente.
Julian Assange wurde zum Freiheitshelden, indem er erfolgreich kontraproduktive Aktionen des US-Sicherheitsapparats bei Militäreinsätzen aufdeckte. Ein Blick hinter den Vorhang der (verfassungswidrigen) Geheimhaltung zeigt, dass der WikiLeaks-Gründer nicht einfach für die Wahrheit kämpfte, sondern tatsächlich für die Pressefreiheit und gegen die Herrschaft der Gewalt.
Doch Assange unterschätzte das Ausmaß der Bedrohung, die seine Arbeit für diese undemokratischen Kreise darstellte – und deren Bereitschaft, ungesetzliche Tricks anzuwenden, um ihn aus dem Weg zu räumen.
Doch dank der idealistischen Arbeit des UN-Sonderberichterstatters über Folter, Nils Melzer, kamen diese Manipulationen ans Tageslicht, während die freie Presse die Augen vor der Realität verschloss und der kritischen Hinterfragung der rechtsstaatswidrigen Aktionen auswich.
Melzer hat die entscheidende Grundlagenarbeit geleistet, um den Militaristen eine weitere Verfolgung Assanges zu verleiden, so dass dieser jetzt nach 1901 Tagen Haft gegen ein Schuldeingeständnis freigekommen ist. Der Idealist hat für die mutige Verteidigung Assanges und der Verfassungsprinzipien das Ende seiner UNO-Karriere in Kauf genommen. Seit Juli 2022 ist er Direktor für Völkerrecht, Politik und humanitäre Diplomatie beim Roten Kreuz.
Unter anderem enthüllte Melzer, dass
- die zwei Vergewaltigungsvorwürfe gegen Julian Assange falsch waren, da in beiden Fällen einvernehmlicher Sex ohne Gewalt stattgefunden hatte.
- in einem der beiden Polizeiberichte das Protokoll mit erfundenen Anschuldigungen umgeschrieben wurde - während die Frau ihn in Wirklichkeit nur nach dem Treffen zu einem AIDS-Test zwingen wollte.
- im zweiten Polizeibericht die Anschuldigung in der Behauptung bestand, der Angeklagte habe ohne Einverständnis der Frau kein Kondom benutzt.2)
Die Medien verbreiteten nicht nur die falschen Anschuldigungen, sondern servierten auch ein zweites unwahres Narrativ, nämlich, dass Assange sich der Zusammenarbeit mit dem schwedischen Justizsystem entzogen habe - während er wiederholt, aber vergeblich, um die Möglichkeit bat, sich gegen die falschen Anschuldigungen zu verteidigen.
Die gleiche wahrheitsverzerrende Berichterstattung betraf Assanges Entscheidung, Schweden in Richtung Großbritannien zu verlassen. Tatsächlich geschah dies überhaupt nicht, um der schwedischen Justiz zu entgehen, sondern um unter allen Umständen einer Auslieferung an die USA zu entgehen.2) Denn dort drohte ihm ein nichtöffentlicher Prozess auf Grundlage des verfassungswidrigen Spionagegesetzes von 1917, weil er geheime Dokumente (hauptsächlich über Kriegsverbrechen der amerikanischen Sicherheitskräfte und ihrer Verbündeten) eingesehen und veröffentlicht hatte. Dieser Prozess vor einem Sondergericht hätte mit der Todesstrafe enden können, oder, wie es später kommentiert wurde, mit bis zu 175 Jahren Gefängnis.
Mit zunehmendem Einblick in den Fall wurde Nils Melzer selbst zum Whistleblower und sah sich dementsprechendem Mobbing und Widerstand auf verschiedenen Ebenen ausgesetzt. Hinter all diesen Ereignissen erkannte Melzer ein tiefgreifendes Problem des westlichen Systems, bei dessen Lösung der Fall Assange eine Schlüsselrolle spielt. «Ich bin ein Aktivist, aber nicht für Assange, sondern für die Rechtsstaatlichkeit.» ... «Hier habe ich die Chance, etwas zu erreichen, das über den Fall hinausreicht.» ... «Den Schutz der Pressefreiheit und des Rechtsstaates.».”3)
Melzer hat bei der Rettung von Julian Assanges Leben eine entscheidende Rolle gespielt, aber seine Hauptaufgabe ist noch nicht erfüllt. Es geht um die längst überfällige Eindämmung eines verfassungswidrigen Einflusses – des Einflusses der anglo-amerikanischen MIC-Militaristen einschließlich der Sicherheitsbehörden. Der Ausgang ist noch offen; nach rund fünf Jahren intensiver Warnungen des idealistischen UNO-Sonderberichterstatters über Folter vor der Bedrohung des Westens durch seinen eigenen Sicherheitsapparat wird die Außenpolitik noch immer und sogar noch stärker von Militaristen dominiert. Der Kurs führt die freiheitliche Zivilisation in Kriege mit Russland und China und gefährdet die Existenz Israels, riskiert einen Bürgerkrieg in den USA und verspricht vielfältiges Chaos in Europa.
Um unsere Zivilisation friedlich von der undemokratischen und höchst gefährlichen Dominanz rückständiger Militaristen zu befreien, ist nun dieselbe Zivilcourage erforderlich, wie sie Nils Melzer und andere Freiheitsaktivisten für die Befreiung Julian Assanges aufgebracht haben.
Referenzen
1) https://www.frieden-freiheit-fairness.com/en/blog/empire-big-money
2) https://www.pressenza.com/2020/03/how-swedish-authorities-invented-the-rape-charge-against-julian-assange/
3) https://www.blick.ch/schweiz/sonderberichterstatter-nils-melzer-51-der-fall-assange-hat-meine-uno-karriere-beendet-id16682596.html