Aus der britischen Politik hört man Stellungnahmen, nach denen die Ukraine diesen Krieg gewinnen müsse und Russland lernen zu verlieren.
So spricht man ernsthaft über die größte Atommacht der Erde - und unterstellt, dass diese NICHT von ihrem nuklearen Potenzial Gebrauch machen würde - weil die Folge in wechselseitig vernichtenden Gegenschlägen bestände. Diese Unterstellung ist grundfalsch, indem sie verschiedene psychologische Aspekte ignoriert.
- Am 17. Mai 2022 sind alle Verhandlungen seitens der ukrainischen Regierung dauerhaft abgebrochen worden und selbst ein Waffenstilland wird abgelehnt. Dadurch wird Russland zur Fortsetzung der Kämpfe gezwungen.
- Denn die behauptete Option eines kompletten Rückzuges aus allen besetzten Gebieten - eine Vorbedingung für neue Gespräche - ist aus russischer Sicht inakzeptabel, schon weil sie das Selbstbestimmungsrecht der bereits seit 1783 zu Russland gehörenden Krimbewohner ignoriert.
- Auch würde ein Abzug generell die überwiegend russischsprachigen Bewohner den wachsenden ukrainischen Repressionen ausliefern - 2017 Erziehungsgesetz, 2019 Sprachengesetz, 2021-Febr. 2022 Schließung von 6 Fernsehsendern, 2022 Verbot von 11 Parteien und Mitte 2023 Verbot russischer Ortsnamen. Dieser Kurs setzt sich in der Androhung harter Strafverfolgung aller prorussischen „Kollaborateure“ fort.
- Nach der faktischen Absage an eine Verhandlungslösung verbleibt beiden Kriegsgegnern nur die Option, forciert einen militärischen Sieg anzustreben.
- Wie Tausende historischer Beispiele gezeigt haben, muss ein wirklich abschließender militärischer Sieg stets eine Reihe psychologischer Reaktionen auf der unterlegenen Seite auslösen. Zu diesen gehören am Ende des Kampfes Angst und die Bereitschaft, sich zu unterwerfen. Die Angst wird nach den Kampfhandlungen von Respekt abgelöst. Dieser stabilisiert die nun geklärte Rangordnung und damit das Sicherheitsgefüge der Region. Gehen vom Sieger idealerweise versöhnliche Signale aus, wird aus der Gegnerschaft eine Kooperation.
- Doch im Ukrainekrieg fehlen auf beiden Seiten die Voraussetzungen für die Herstellung von Respekt - auf der ukrainischen exakt so lange, wie diese im Wünsch-dir-was Modus jede denkbare militärische Unterstützung erhält - und seitens der britischen Regierung sogar in der Illusion gehalten wird, diesen Krieg gewinnen zu können.
- Die gesamte Situation ist von maximaler Inkompatibilität der beiden Kriegsparteien geprägt - dem Gegenteil dessen, was Mahatma Gandhi und Martin Luther King als Grundvoraussetzung für gewaltfreie Konfliktlösung erkannt haben – nämlich den Gegner zu verstehen.
- Da alle gewaltfreien Alternativen geblockt sind, führt die Eskalation mit Attacken gegen die Krim und mit der Lieferung von Uranmunition und Streubomben Russland unausweichlich an eine rote Linie, hinter der keine Berechenbarkeit mehr vorliegt. (Psychologisch gilt das in allen Situation, welche als existenzbedrohlich wahrgenommen werden.)
- Nach Erkenntnissen Niccolo Machiavellis tendiert eine überlegene Konfliktpartei dazu, zügig einen kriegsentscheidenden Schlag zu führen, um den abschließend stabilisierenden Respekt aufzurufen.
- Dies bedeutet auf dem augenblicklichen Eskalationskurs fast unausweichlich den Ersteinsatz von Atomwaffen von russischer Seite, denn die psychologischen Voraussetzungen für einen Abschreckungseffekt der NATO-Atomwaffen liegen nur lückenhaft vor.
- Die korrekte Seite der Abschreckungshypothese besteht darin, dass der atomare Erstschlag anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als der Erstschlag in einem konventionell geführten Krieg. Wie der 6-Tage-Krieg Israels 1967 gezeigt hat, kann die weitgehende Ausschaltung der gegnerischen Verteidigungskraft einen raschen Sieg herbeiführen. Gegen eine Atommacht ist jedoch selbst eine „weitgehende“ Vernichtung der gegnerischen Atomsysteme nicht ausreichend, da die verbliebenen immer noch inakzeptable eigene Verluste verursachen können – unter normalen Umständen, siehe Punkt 20.
- Doch existieren noch zwei weitere gangbare atomare Optionen - zum einen der Einsatz kleinerer, taktischer Atomsprengköpfe als Steigerung der bereits durch Streubomben brutalisierten Kriegsführung. Zum anderen handelt es sich um einen singulären großen Warnschlag, der Respekt einfordert. Der schroffe Beweis für dessen Funktionieren wurde mit der Zerstörung Hiroshimas und Nagasakis vor 78 Jahren geliefert. Allerdings hätte sich das damalige militärische Ziel, eine verlustreiche amerikanische Invasion Japans vermeiden zu können, auf ungleich humanere Weise erreichen lassen. Dazu hätten lediglich statt der beiden dicht besiedelten Großstädte militärisch relevante Ziele wie Zentren der Rüstungsindustrie ausgewählt werden müssen.
- Doch gegen die Ukraine scheidet selbst ein rein militärisch definierter atomarer Warnschlag aus. Denn deren Regierung hat nach den unter Punkt 3 genannten demokratiewidrigen Eingriffen freie Hand, die Menschen auf einen surrealen Kurs zu manipulieren, der „Sieg oder Untergang“ heißt. Respekt vor dem Gegner kommt darin nicht vor - solange der Waffennachschub fließt.
- Ein Warnschlag kann daher nur Wirkung entfalten, wenn er den Respekt nicht von der Ukraine einfordert, sondern von den Waffen liefernden Ländern. Unter diesen Lieferländern ist das Vereinigte Königreich besonders exponiert, indem es bei der Bedienung der Eskalationsspirale stets vorgeprescht ist. Dazu kommt, dass seit dem Brexit der Schutz durch den EU-Vertrag fehlt, der in Artikel 42/ 7 eine militärische Beistandspflicht vorsieht.
- Die Schutzwirkung der NATO wird dagegen bei Weitem überschätzt. Der relevante Artikel 5 des NATO-Vertrages regelt die Verpflichtungen für den Bündnisfall kompliziert und schwammig. Die Folgen hatte bereits Frankreich zu spüren bekommen, als es im Algerienkrieg alleine gelassen wurde.
- Während es für Russland im Moment eines atomaren Warnschlages um die Existenz geht, kann davon bei nicht selbst betroffenen NATO-Ländern keine Rede sein. Zudem hätte das amerikanische NATO-Oberkommando - auch in Hinblick auf China - Grund zur atomaren Zurückhaltung gegenüber Russland.
- Doch werden viele der obigen Überlegungen dadurch in Frage gestellt, dass eine weitere, sehr starke Einflussgröße existiert. - Als der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower 1961 aus dem Amt schied, warnte er in seiner Abschiedsrede vor dem MIC, dem Militärisch-Industriellen Komplex, in welchem er eine Gefahr für Freiheit, Demokratie und Sicherheit erkannte. Diese Gruppierung aus Politikern, führenden Personen des Militärs, der Geheimdienste und der Rüstungsindustrie ist nach heutigem Verständnis nur Teil eines umfassenderen Systems, dass sich als „Herrschaft des großen Geldes“ definieren lässt.
- Dieses Handels- und Finanzimperium, das am 31. Dezember 1600 mit der Privilegierung der berüchtigten East India Company in die Geschichte eingebrochen ist, hat es verstanden, die menschenverachtenden Praktiken der Ausplünderung, der Enteignung, der Übervorteilung, der Meinungsmanipulation, der Bevormundung und der militärischen Gewaltanwendung feudalzeitlicher Landesherren in die Epoche der freiheitlich-demokratischen Zivilisation hineinzutragen.
- Als Papst Franziskus 2014 feststellte, „Der Kapitalismus braucht den Krieg“ – meinte er damit nicht die Marktwirtschaft, sondern die Herrschaft des großen Geldes. Diese nicht demokratisch kontrollierte Macht mit ihren bis heute unauffällig privilegierten Handelsoligopolen, dem ebenso privilegierten Finanzsystem, mit ihrem medialen Einfluss, dem MIC und Zehntausenden großer Organisationen (NGOs) ist eben dabei, die Zivilisation in einen dritten großen Bruderkrieg zu manipulieren.
- Der unübersehbare Einfluss dieses ultrareichen Personenkreises, der selbstverständlich über aufwendigste Schutzanlagen verfügt und gegenüber den Nationen europäischen Zivilisation keinerlei Solidarität an den Tag legt, setzt auch den unter normalen Umständen wirksamen atomaren Abschreckungseffekt entsprechend Punkt 11 außer Kraft.
- Bereits mäßig vertiefte Beschäftigung mit der Art von militaristischer Politik, wie sie unter dem Einfluss des MIC von Korea bis zum Afghanistan-Desaster stattgefunden hat, zeigt, dass es für ein Land und seine Bevölkerung kaum etwas Schlimmeres geben kann, als von diesen vorgeblich guten Kräften „verteidigt“ oder „befreit“ zu werden.
- So stellt sich für Europa allgemein und für das Vereinigte Königreich speziell die Frage, ob es nicht im Schlagabtausch mit Russland bedenkenlos geopfert würde, wenn sich damit das seit dem Krimkrieg (1853-1856) erkennbare große Ziel erreichen ließe, Russland endgültig aufzulösen.
- Zynischer Weise kann man sich den konkreten „begrenzten“ Atomkrieg so ähnlich wie in NATO-Übungsszenarien zu Sowjetzeiten vorstellen, in denen umfangreicher Einsatz taktischer Atomwaffen im dichtbesiedelten Mitteleuropa als angemessen galt(!). Dieses Mal geht es (auch) um weiter östlich gelegene Kriegsschauplätze – die Bundeswehr verfügt bereits über russische Geländekarten.
In diesem Sinne ist allen europäischen Regierungen nahezulegen, sich mit weiteren Waffenlieferungen extrem zurückzuhalten, und diese an die Bedingungen eines Waffenstillstandes und der Rückkehr an den Verhandlungstisch zu knüpfen.