Als der Journalist Tucker Carlson sein am 06. Februar 2024 mit Vladimir Putin geführtes Interview präsentierte, stieß ihm seitens der etablierten Medien eine Welle der Kritik und Herabsetzung entgegen. Man kann inhaltlich selbstverständlich anderer Ansicht sein, aber es geht hier um ein vom amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King (1929-1968) als überlebenswichtig erkanntes Prinzip – dass man seine Feinde verstehen muss – was selbstverständlich nicht bedeutet, deren Taten gutzuheißen.
Gegen diese Grundregel wird namentlich im Ukrainekrieg systematisch verstoßen. Tucker Carson hat mit dem Interview einen Schritt in die richtige Richtung getan – unabhängig von einer Bewertung des Gesprächs. Vertreter der Mainstreammedien haben ihn dafür u.a. als „nützlichen Idioten Putins“ titulieret.
Dabei haben sie Anlass, selbst in den Spiegel zu schauen, der ihnen ihre mangelnde demokratische Wachsamkeit zeigen würde. So haben sie jahrzehntelang die von den wenigen großen Nachrichtenagenturen vorgefilterten Meldungen in redaktionell gestalteter Form an das Publikum weitergegeben – viel zu oft im vorgefundenen unkritischen Tenor. Referenz https://www.theguardian.com/commentisfree/2014/may/13/ukraine-us-war-russia-john-pilger
Dass sie die Menschen mit diesem Kritikmangel zum Akzeptieren auch inakzeptabler Politik verleitetet haben, kommt nun erst im Nachhinein ans Licht. Im Ambiete gedämpfter Kritik konnten definitive Dauertragödien über die Bühne gehen – beispielsweise die jeweils rund eine Billion Dollar (amer. one trillion $) teuren Militärabenteuer in Afghanistan (1979 bis 1989 und 2001-2021) sowie im Irak (2003-2011). Die Folgen dieser „Investitionen in die Sicherheit“ sind destruktiv: Die angekündigte Befreiung wurde von den Bewohnern als brutale Eroberung wahrgenommen und die Demokratisierung als unsensibles Aufzwingen korrupter Marionettenregierungen - eine Rufschändung der USA und vor allem der freien Demokratie.
Im Ambiente begrenzter Kritikbereitschaft sind die Fehler bei vergangenen Militärabenteuern und bei der zugehörigen Berichterstattung nicht hinreichend aufgearbeitet worden. In allen größeren westlichen Militärinterventionen wird eklatant gegen die von Niccolo Machiavelli erkannte Regel verstoßen, dass unvermeidbare Militärschläge und andere Strafaktionen binnen kürzester Zeit und mit dauerhaftem Erfolg abzuschließen sind. Dabei hatte der 6-Tage-Krieg Israels von 1967 ein mustergültiges Beispiel geliefert, wenn dieser auch u. a. infolge der Parteilichkeit der UNO ohne abschließende Friedensregelung geblieben ist. - Im Ukrainekrieg sind es andere Fehler, aus denen nicht gelernt wurde:
- Bereits Anfang März 2022 waren unter Vermittlung des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett die Eckpunkte eines Waffenstillstandes ausgehandelt. Doch haben die amerikanische und die britische Regierung die ukrainische Seite von dieser Einigung abgebracht. Referenz https://www.berliner-zeitung.de/open-source/naftali-bennett-wollte-den-frieden-zwischen-ukraine-und-russland-wer-hat-blockiert-li.314871. Dieser Zusammenhang ist medienseitig weitgehend im Nebel gehalten worden.
- Am 17. Mai 2022 sind die Verhandlungen von der ukrainischen Regierung auf Dauer abgebrochen worden. In den Medien des Mainstream wird dagegen impliziert, dass man „Putin an den Verhandlungstisch zwingen“ müsste.
- Seit über einem halben Jahr wird Streumunition in die Ukraine geschickt, die von der Mehrheit der Staaten wegen der schrecklichen Verletzungen und
wegen der vielen zurückbleibenden Blindgänger geächtet werden.
- Waffenlieferungen machen die Lieferländer nicht nur faktisch, sondern auch völkerrechtlich dann zur Kriegspartei, wenn an diesen Waffen ausgebildet wird. Diese rote Linie ist bereits überschritten worden.
- Laut vollmundiger Verkündigung werden in der Ukraine die demokratischen Grundwerte unserer freiheitlichen Zivilisation verteidigt - ausgerechnet in dem europäischen Land mit der verbreitetsten Korruption. Referenz https://consortiumnews.com/2022/07/22/servant-of-the-corrupt/
- Auch die Tatsache, dass bereits längst vor dem russischen Einmarsch mehrere Oppositionsparteien verboten und kritische Fernsehsender abgeschaltet worden sind, disqualifizieren die Narrative von der Demokratieverteidigung. Referenz ebenda.
Das jüngste Warnsignal hat die Ablösung der ukrainischen Militärführung geliefert, verbunden mit einem Strategiewechsel. Danach wird gefordert, den Krieg nach Russland zu tragen.
Selenskyj hat die neue Linie mit „führenden Journalisten“ in geschlossener Runde besprochen. In kontrollierten Medien wird man „führend“, indem man auch für inakzeptable Politik der Regierung die Akzeptanz der Bürger sicherstellt. – Den Krieg nach Russland tragen zu wollen, bedarf besonders zugkräftiger Narrative, welche die wahnwitzige Eskaltion in den großen Krieg als alternativlos erscheinen lassen. Die westlichen Bürger erwartet daher eine beispiellose Propagandawelle.
Gegen solche, insbesondere militaristische Meinungsmanipulation hatte Noam Chomsky „courses of intellectual self defence“ - Kurse in intellektueller Selbstverteidigung empfohlen. Auch Information über die 125jährige Geschichte der „modernen“ Kriegspropaganda helfen. Referenz https://www.frieden-freiheit-fairness.com/blog/124-thesen-fuer-nachhaltigen-frieden-freiheit-und-fairness.
Die Münchener Sicherheitskonfernz (16.02. bis 18.02.2024) hat dazu keinen Beitrag geliefert. Im 20-seitigen Programm findet sich stattdessen eine Veranstaltung mit dem Titel „Fighting Fatigue: Whatever It Takes for Ukraine’s Victory“ – Kriegsmüdigkeit: Was immer der Sieg der Ukraine erfordert. Das ist die Einstimmung darauf, den Krieg jetzt nach Russland zu tragen. Referenz https://securityconference.org/en/msc-2024/agenda/ Download: file:///F:/NEUESTES%20Material/240215_MSC2024_Agenda.pdf
Bereits im Vorfeld der Konferenz wurde gegen die o. g. Regel Martin Luther Kings verstoßen, seine Feinde verstehen zu müssen, indem Putin ausdrücklich nicht eigeladen wurde. So wenig Verständnis für die psychologische Seite des Krieges passt allerdings zu einem Militaristentreffen, bei dem sich die Teilnehmer gegenseitig auf den Hardcore-Kurs des MIC eingestimmt haben.
Ein Hoffnungsschimmer besteht darin, dass sich viele noch an die Münchener Rede von Selensky vor zwei Jahren erinnern werden. Am 19.02.2022 hatte dieser zugesichert, dass ein Zurückholen der Krim in den ukrainischen Staat von seiner Regierung aus allein mit friedlichen Mitteln angestrebt würde. Damit hat er eine Verhandlungslösung mit international beaufsichtigtem Referendum impliziert, nicht aber Angriffe auf die Krimbrücke, die Halbinsel oder gar auf Russland selbst.
Die westliche Wertegemeinschaft steht am Scheideweg. Wird es noch rechtzeitig gelingen, die Politiker auf die im März 2022 bereits zum Greifen nahe Verhandlungslösung einzustimmen, oder werden die Menschen der nun anrollenden Propagandawelle erliegen und sich auf den selbstmörderischen Weg führen lassen, den Krieg nach Russland zu tragen?
Ein wirksamens Mittel, der friedlichen Lösung zum Durchbruch zu verhelfen, besteht in der Wiederbelebung des historischen Bewusstseins von einem höchst konstruktiven Vertrag – der NATO-Russland-Grundakte von 1997. In dem Dokument heißt es: „ Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner. Sie verfolgen gemeinsam das Ziel, die Spuren der früheren Konfrontation und Konkurrenz zu beseitigen und das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit zu stärken.“
Schon zwei Jahre nach dieser konstruktiven Vereinbarung begann die Osterweiterung der NATO, die den Russen aber als nicht gegen sie gerichtet präsentiert wurde. Es ist jetzt die allerletzte und zugleich allerbeste Gelegenheit, den kooperativen Geist der noch gültigen NATO-Russland-Grundakte wiederzubeleben. Das kann mit einem einseitigen Bekenntnis einer der beiden Seiten beginnen oder, indem man endlich wieder miteinander kommuniziert.