Die Welt ist verrückt. Das sieht inzwischen fast jeder so und je genauer man hinsieht, umso mehr bestätigt sich dieser Eindruck. Hinter dem vielen Unsinn, der Gewalt, der Geschäftemacherei, der politischen Unaufrichtigkeit und Medienhysterie steckt ein Dickicht aus falschen, richtigen, teilweise richtigen, einander widersprechenden oder sich nur dem Anschein nach widersprechenden Gedanken, Philosophien, Ideologien und Theorien. Dazwischen, im Nichts der Konzeptlosigkeit sowie als äußerer Ausdruck einer nur mühsam kaschierten Verunsicherung und Ratlosigkeit, verwaltet eine „pragmatische“ Politik die Errungenschaften einer großartigen Zivilisation ohne Plan und Ziel, während das Bröckeln des Fundaments auf rationaler Ebene übersehen und auf emotionaler Ebene verdrängt wird. Somit ist zwingend auf fundamentale Widersprüchlichkeiten zu schliessen.
Eine erfolgreiche Suche nach dem Ausweg aus der allgemeinen Desorientierung hat vor allem zur Voraussetzung, sich politischen Denkrichtungen, Ideologien und Weltbildern grundsätzlich ohne Vorurteil zu nähern. Das bedeutet namentlich, sich bewusst und konsequent nicht von Tabus und anderen Psychobarrieren beeinflussen zu lassen. – Gerade diese Barrieren erweisen sich bei genauerer Betrachtung als ganz wesentlich höher und wirkungsvoller als angenommen. Nach ihrer Überwindung jedoch liefern sie selbst bereits ein wichtiges Puzzlesteinchen für die Lösung.
Menschen unterliegen in einem erschütternden Umfang der manipulativen Beeinflussbarkeit. Zu diesem Thema führte der Psychologieprofessor Stanley Milgram ab 1961 (Erstveröffentlichung 1963) eine Reihe von Experimenten in den Räumlichkeiten der Yale University/ New York durch. Milgram wollte herausfinden, mit welchen Mitteln sich Menschen dazu bewegen lassen, unschuldige Mitmenschen zu quälen und zu gefährden. Die freiwilligen Versuchspersonen wurden jeweils zu zweit ins Labor bestellt und über das angebliche Untersuchungsziel „informiert“ – demnach ginge es darum festzustellen, welchen Einfluss Strafe auf das Lernverhalten hat.
Vorab wurde per Losziehung bestimmt, wer Lehrer und wer Schüler sein sollte. In Wahrheit handelte es sich jedoch in jedem Versuchsdurchgang um nur eine Versuchsperson, die per Losmanipulation stets die Rolle des Lehrers zugeteilt bekam, während es sich bei dem vermeintlichen Schüler stets um denselben, sympathisch auftretenden Mitarbeiter handelte. In dem fingierten Rollenspiel sollte der vermeintliche Lehrer dem schauspielenden Schüler ebenso vermeintliche Stromstösse verabreichen, wenn dessen gespielt schlechte Lernergebnisse zu wünschen übrig liessen.
Die sehr umfangreichen Untersuchungsreihen ergaben, dass 65% der Testpersonen unter Aufsicht autoritärer Versuchsleiter die Spannung der Stromstösse bis auf vermeintliche 450V steigerten – nachdem vom „Schüler“ bereits zuvor kein Lebenszeichen mehr vernehmbar war.
Milgram hat den Menschen wie niemand zuvor einen Spiegel vorgehalten und damit eine ungemein wertvolle Hilfe zur Selbsteinschätzung geliefert. – Doch statt der hochverdienten Anerkennung wurde ihm eine berufliche Degradierung zu Teil und er sah sich umfangreicher Kritik ausgesetzt - unter dem Vorzeichen ethisch-moralischer Bedenken. Eine solche „Ethik“ widerspricht allerdings bei Lichte besehen dem Grundgedanken der Freiheit, denn sie läuft auf Beschränkungen der neutralen, allein dem Erkenntnisstreben unterstellten Forschung und Verbreitung von Erkenntnissen hinaus. Unter diesem Vorwand werden die Menschen vor der Wahrheit abgeschirmt und in ihrem verantwortlichen Handeln beeinträchtigt.
Über eben diesen Aspekt Verantwortung machte sich Milgram Gedanken, als er die Experimente (mit insgesamt über 400 Personen) auswertete. Er kam zu dem soziopsychologischen Schluss, dass Menschen grundsätzlich in zwei Modi zueinander in Interaktion treten, im „Autonomous State“ – als eigenständig Handelnde oder im „Agentic State“. Nach Milgram ist die Bereitschaft, für eigenes Tun die Verantwortung zu tragen, das entscheidende Kennzeichen des autonomen, eigenständigen Handelns. Im „Agentic State“ hingegen wird die Verantwortung an die Person abgegeben, welche die Anweisungen erteilt.
Für die Herrschenden aller Epochen war eine starke Bereitschaft ihrer Untertanen, sich im „Agentic State“ unterzuordnen und zu gehorchen, mehr als eine willkommene Eigenschaft, sie war die Grundlage für die Durchsetzung und Stabilisierung ihrer Machtansprüche. Karl Marx als kritischer Beobachter gesellschaftlicher Zustände erkannte das entscheidende Mittel, mit dem Menschen beherrscht, also auf Dauer im „Agentic State“ gehalten werden, nämlich mit einer massgeschneiderten Philosophie: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“ Karl Marx Die deutsche Ideologie. Marx/Engels, MEW 3, S. 46, 1846/1932Referenz: https://beruhmte-zitate.de/autoren/karl-marx/
Der amerikanische Sprachwissenschaftler und Soziologe Prof. Noam Chomsky (* 1928) befand: „ Den meisten Menschen ist es jedoch gar nicht bewusst, dass sie in einem mentalen Käfig gehalten werden, in einer Welt mit streng vorgegebenen Betrachtungsweisen, deren Verlassen mit Tabus belegt ist… Die Mehrheit der gewöhnlichen Bevölkerung versteht nicht, was wirklich geschieht. Und sie versteht noch nicht einmal, dass sie es nicht versteht“. / Noam Chomsky, Media Control
Auch die Philosophen und Denker waren und sind im Wesentlichen Kinder ihrer Zeit, sie schwammen bzw. schwimmen, wie andere Menschen auch, „mit dem Strom“. Das uns von Stanley Milgram so brüsk offenbarte psychologische Phänomen betrifft eben in gar keiner Weise nur einfache Bürger und chronische Opportunisten, welche stets ihr „Fähnlein nach dem Wind hängen“. Vielmehr stellten selbst die Gedankengebäude der vermeintlich absolut frei denkenden Philosophen weithin lediglich Abbilder der jeweils gültigen - also mit den Interessen der Herrschenden zu vereinbarenden - Weltbilder ihrer Zeitgenossen dar und nur in begrenztem Umfang Produkte ihrer eigenen freien Gedanken und selbständigen Urteilskraft. Sich deutlich außerhalb des gerade gültigen weltanschaulichen Mainstream zu positionieren, hat zu allen Zeiten ein gutes Maß an Zivilcourage erfordert, die Bereitschaft nämlich, gesetzte Autoritäten und Lehrmeinungen anzuzweifeln. Diese gehört aber, wie die Experimente Milgrams und anderer Psychologen bestätigen, absolut nicht zu den Stärken des zivilisierten Menschen.
Daher muss die rationale Erklärung für die aktuellen Widersprüche und Verrücktheiten zwingend abseits der den Diskurs verengenden „Political Correctness“ liegen.
Letztlich ist es die Verschmelzung zweier „eigentlich“ einander völlig entgegengesetzter Gedankengebäude zu einer integrierten Gesamtschau, die Ordnung in das Wirrwarr der aktuellen sozioökonomischen Zustände bringt.
Ayn Rand (1905-1982) kann als argumentativ stärkste Verfechterin des Kapitalismus gelten und Karl Marx (1818-1883) als dessen mit Abstand bedeutendster Gegner. Beide waren Menschen mit exzellenter Beobachtungsgabe und brillanter Urteilskraft.
Zum Glück sind jene schwerstens im Irrtum, die meinen, die sich fortwährend weiter akkumulierenden gesellschaftlichen Widersprüche würden irgendwann eine Revolution „erforderlich“ machen. - Ganz im Gegenteil würden gewaltsame „Lösungen“ die Chancen zerstören, zeitnahe auf den rationalen und gerechtenWeg in die nachhaltige Stabilität einzuschwenken – das momentan noch offene Zeitfenster würde sich dann sehr unsanft schliessen.