Ayn Rand sind bereits bei der Wahl ihrer Sachbuch Titel gravierende Fehler unterlaufen, welche der Verbreitung ihrer Philosophie außerordentlich abträglich waren.
Wie schon im vorigen Kapitel erwähnt, gebraucht sie durchgängig den Begriff „capitalism“ – Kapitalismus anstelle der korrekten Bezeichnung „free market economy“ für das, was sie wirklich meint und bravourös verteidigt, nämlich die freie Marktwirtschaft. „Capitalism – The unknown Ideal“ nennt sie sogar ihr umfangreichstes Sachbuch, obwohl der Begriff Kapitalismus in Literatur und Umgangssprache – völlig zu Recht - erheblich stigmatisiert ist.
Vor allem aber hat Ayn Rand die große Chance vertan, zwischen dem konstruktiven und innovativen Unternehmertum und dem u.a. durch arbeitsfreie Profite gekennzeichneten tatsächlichen Kapitalismus klar zu unterscheiden.
Ein anderer Fehler Ayn Rands beruht auf Kenntnisdefiziten in der Evolutionsbiologie, die ihr den Blick auf die stammesgeschichtlichen Wurzeln der menschlichen Soziologie versperrt haben. – Infolgedessen überschätzt sie die Reichweite der individuellen Freiheit und setzt umgekehrt den Stellenwert der Gesellschaft zu niedrig an. So bestreitet sie ernsthaft die Existenz eines gesellschaftlichen, eines „öffentlichen Interesses“, während die Realität reichlich Konstellationen zeigt, in denen individuelle Interessen dem Gemeinwohl klar nachzuordnen sind, etwa bei Infrastrukturprojekten. „Since there is no such entity as „society,“ since society is only a number of individual men, ...“. – Indem keine solche Einheit wie „Gesellschaft“ existiert, da (eine) Gesellschaft nur eine Anzahl individueller Menschen darstellt, ... / Ayn Rand, The Virtue of selfishness, New York 1964, S. 109
Mit derartigen, realitätsfernen Statements lässt Ayn Rand eine klaffende Lücke in ihrer ansonsten hervorragend konsistenten und geschlossenen Philosophie. Wie noch aufgezeigt wird, handelt es sich dabei exakt um den Freiraum, in welchem sich der korrekte Teil der marxschen Philosophie wie ein fehlendes Modul nahtlos einfügt (siehe Kapitel A 34). Die zwingende Notwendigkeit, diese Lücke im Gedankengebäude des Objektivismus zu schließen, hat eine einfache Begründung: Der Mensch ist ein in hohem Masse für das Leben in Gemeinschaften konzipiertes Wesen. Da er nur in der Kooperation mit anderen überleben kann, bildet das Überleben der Gemeinschaft eine unverzichtbare Grundlage für das Überleben des Individuums. Vom Individuum sind folglich Verhaltensweisen verlangt, welche dem Überleben seiner Gemeinschaft dienlich sind (und es sind solche – asozialen - zu sanktionieren, welche diesem schaden).
Die Kooperation in der Gemeinschaft bedeutet auch, dass man füreinander eintritt und solche Personen, die im Wettbewerb der fairen Leistungsgesellschaft das Schlusslicht bilden, nicht hungernd auf der Straße lässt. Dagegen sah Ayn Rand Hilfeleistung allein im Sinne einer Notfallmaßnahme als gerechtfertigt, dauernden Unterhalt für Bedürftige lehnte sie ab. Zwischen den beiden Standpunkten liegt die korrekte integrierte Sicht mit der Feststellung, dass eine größtenteils aus Sozialhilfeempfängern bestehende Gesellschaft sich im historischen Wettbewerb nicht dauerhaft behaupten kann (siehe Positivbeispiel China im gleichnamigen Kapitel A 29.). Indem sie vielmehr auf leistungsfähige Mitglieder angewiesen ist, soll Hilfe so weit wie möglich den Charakter von Hilfe zur Selbsthilfe haben – und sich damit innerhalb überschaubarer Zeit überflüssig machen. – Dieses Prinzip entspricht auch dem marxschen Gedanken der Emanzipation und Höherentwicklung der einfachen Bürger (siehe Kapitel A 34. „Klassenlose Gesellschaft?“).
Ganz anders gelagert sind die Fehler, die man bei Karl Marx findet. Diese resultieren zu einem beachtlichen Teil aus seinem Charakter, nämlich dem eines autonom denkenden „Tatmenschen“, der gesellschaftliche Zustände nicht nur theoretisch in Frage stellte, sondern auch aktiv verändern wollte. Ohne dieses ausgeprägte Charakterprofil hätte es beides nicht gegeben – nicht seine historisch folgenschweren Irrtümer, aber auch nicht seine wegweisenden Erkenntnisse. Aus beiden ist zu lernen.
Ein grundsätzlicher Fehler besteht in einer herabgesetzten Schwelle der Gewaltbereitschaft, welche sich mit vielen Textstellen belegen lässt, in denen vom Vernichten, von Zerstörung, Revolution und vom Umstürzen die Rede ist, welche er als adäquate Mittel ansieht, nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen.
Eine gravierende Fehleinschätzung unterläuft Marx auch mit der Verknüpfung dieser Vision gewaltsamer Veränderungen mit derjenigen einer dabei führenden Rolle des Proletariats – beide Gedanken vereint in dem Begriff „Diktatur des Proletariats“. Marx` Kalkulation ist einfach – das Proletariat bildet(e) die Bevölkerungsmehrheit, die schiere Zahl würde die Machtübernahme sichern.
Doch ist das Proletariat unter allen Gesellschaftsschichten diejenige, in welcher Qualifikationen, die zur Übernahme von organisatorischen und Führungsaufgaben befähigen, am geringsten verbreitet sind. So musste es in der Praxis zwingend dazu kommen, dass in sämtlichen Staaten, welche im 20. Jahrhundert sozialistisch-leninistische Gesellschaftsmodelle erprobten, eine aus überwiegend mittelständischen Intellektuellen bestehende „Vorhut der Arbeiterklasse“ diese angebliche Diktatur des Proletariats in ihre Hände nahm, während die Arbeiter weiterhin nichts zu sagen hatten. Hätte Marx Schriften von Noam Chomsky kennen können, wäre er wohl zu einer realistischeren Einschätzung der mentalen Möglichkeiten der einfachen Bürger gelangt, denn dieser stellt knallhart fest: „Die Mehrheit der gewöhnlichen Bevölkerung versteht nicht, was wirklich geschieht. "Und sie versteht noch nicht einmal, dass sie es nicht versteht!"“ / Referenz: www.brainquote.com
Der dritte marxsche Fehler, die sehr leichtfertige generelle Infragestellung des Privateigentums an Produktionsmitteln resultiert aus dem Versäumnis einer notwendigen Differenzierung zwischen dem arbeitsfrei eingesetzten Kapital, das als „verstorbene Arbeit“ keine weitere Funktion hat als fortwährend Profit zu akkumulieren und dem ganz anderen, dem durch organisatorische Arbeit, Initiative und Innovation lebendig gehaltenen Kapital tatsächlicher Unternehmer. Dem zweitgenannten, lebendigen Kapital kommt eine überragende und unersetzbare Funktion als Treibstoff für technischen Fortschritt zu. Diesen Treibstoff durch Enteignung aus verantwortungsvollen und kompetenten Händen in die Hände von angeblichen Führern der Arbeiterklasse zu überführen, war ein unermesslich folgenschwerer wirtschaftspolitischer Makel des leninistischen Konzepts, an welchem Marx aufgrund seiner undifferenzierten Enteignungsparolen eine klare Mitschuld trifft.
Ihm und Rand gelingt es nicht, zwischen der freien, den fairen Ausgleich herzustellenden Marktwirtschaft und dem auf unfairen Privilegien und Oligopol Macht basierenden Kapitalismus als zwei gänzlich verschiedenen Prinzipien zu differenzieren. – Namentlich dieses Defizit beider Philosophien hat verhindert, ihre Sichtweisen als nicht nur miteinander kompatibel zu erkennen, sondern sogar als die beiden entscheidenden Komponenten eines kompletten politischen Weltbildes, das in sich konsistent und zu 100% widerspruchsfrei in der Realität verankert ist – ein guter Grund, diese Differenzierung nachzuholen.