Die ersten Stadtkulturen hatten mit ihren zahlreichen, untereinander überwiegend unbekannten Einwohnern ein bis dahin unbekanntes Problem zu bewältigen – den Mangel an gegenseitiger sozialer Kontrolle in einer anonymen Gesellschaft. Abhilfe suchte man in geschriebenen Gesetzen, ohne damit jedoch das grundsätzliche Problem der städtischen Anonymität beseitigen zu können, in welcher sozialschädliche Betätigungen als Dieb oder Betrüger Erfolgschancen haben.
Mit der modernen Kommunikationstechnik stehen nun neue Möglichkeiten der sozialen Kontrolle zur Verfügung, welche die Menschheit allerdings an einen historischen Scheideweg führen. Denn hochauflösende Überwachungskameras, Gesichtserkennungsprogramme und andere elektronische Kontrolltechnik ermöglichen es einerseits, den Wall der Anonymität und Heimlichkeit zu durchbrechen hinter welchem sich über rund 7000 Stadtgeschichte hinweg sozialschädliche Lebensmodelle entfalten konnten. Doch andererseits zeichnet sich bereits ein gigantisches Gefahrenpotenzial ab, indem sich dieselbe Technik ebenso gegen die Prinzipien der Freiheit, der Demokratie und der Privatsphäre missbrauchen lässt.
Allein unter der Voraussetzung, dass elektronische Kommunikationstechnik (authentisch nicht nur formal!) rechtsstaatlich eingesetzt wird, kann sie helfen, das menschliche Zusammenleben auf eine höhere Entwicklungsstufe zu heben. Denn während die soziale Kontrolle zwischen persönlich bekannten Menschen in steinzeitlichen Kleingruppen stets die unangenehme Kehrseite einer eingeschränkten Privatsphäre mit sich gebracht hatte, kann mittels moderner Elektronik getrennt werden – effektiver Schutz vor kriminellem Verhalten ja, aber Eingriffe in die Privatsphäre nein. In China wird von solchen Möglichkeiten unter der Bezeichnung „Social Scoring“ bereits Gebrauch gemacht. Dabei wird soziales Wohlverhalten in einem erweiterten, über den Aspekt der Kriminalität hinaus reichenden Sinn erfasst und nach einem Punktesystem bewertet. Beispielsweise wird Zuverlässigkeit belohnt, während negatives Verhalten wie Diebstahl, Sprayen von Graffitis oder Missachtung von Verkehrsregeln Punktabzüge einträgt. Je nach Punktestand ergeben sich für die Betreffenden einige Vor- bzw. Nachteile, beispielsweise bei der Taxierung der Kreditwürdigkeit.
In den westlichen Mainstream-Medien wird das chinesische System größtenteils als Verstoß gegen Freiheit und Demokratie oder gar als Ansatz zu einem Überwachungsstaat nach dem Muster der legendären Zukunftsvision von George Orwell dargestellt. Diesen Vorwürfen liegt allerdings eine gute Portion Hypokrisie zu Grunde. Während eifrige Journalisten – nicht ganz zu Unrecht, aber ohne grosse Relevanz – die Punktabzüge z. B. für Pornokonsum als Verletzung der Privatsphäre anprangern, wird über die sehr reale Gefahr eines in sich haltlos widersprüchlichen Umganges mit dem Datenschutz in “westlichen” Ländern hinweggesehen.
So hat ein politisch missverstandener Datenschutz u. a. in Deutschland zu dem Verbot geführt, Aufnahmen von Überwachungskameras, welche Straftäter wie Einbrecher in Aktion zeigen, im Internet zu veröffentlichen. Die hervorragende Chance, auf diese Weise Zeugen für die Identifizierung zu finden, wird mit einer so falschen Priorisierung von Rechtsgütern vertan. Auch bei Betrug sind die staatlichen Aufsichtsbehörden weit davon entfernt, moderne Kommunikationstechnik in angemessener Weise zum Schutz der Bürger einzusetzen. Im grotesken Widerspruch dazu werden die Menschen der heimlichen Überwachung durch die NSA und andere Geheimdienste schutzlos ausgeliefert – obwohl deren Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Prinzipien spätestens seit den Enthüllungen Edward Snowdens klar ist.
Die Geldaristokratie versteht es seit Langem, stets die neueste Technik - insbesondere im Kommunikationssektor - für ihre Belange zu vereinnahmen. So geschah es beim Medium Fernsehen mit dem Aufkommen der vielen, aber weltanschaulich ernüchternd uniformen Privatsender und so hat es sich bei sozialen Medien und den Kommunikationsapps im Mobilfun wiederholt. Diese eignen sich perfekt zum Ausspionieren persönlicher Daten einschließlich der weltanschaulichen Positionierung. 1952 wurde der Geheimdienst NSA mit seiner riesigen Serverkapazität gegründet, dessen spezielle Softwareprogramme alle verfügbaren Daten ganzer Populationen zusammenführen, u. a. nach Gesinnungsprofil sortieren und auf Jahrzehnte speichern. Vor dem Hintergrund der realen Machtverhältnisse sowie der Enthüllungen Edward Snowdens über die wahren Tätigkeiten der NSA kann es als ausgeschlossen gelten, dass dieses größte Spionagezentrum aller Zeiten nicht großenteils im Interesse und unter Kontrolle des Großkapitals arbeitet.
Anders als im transparenten chinesischen System, in welchem jeder seinen Punktestand und dessen Zustandekommen abfragen kann, bedroht die geheimdienstliche Überwachung im “Westen” die eigenen Bürger auf undurchsichtige Weise. Sie zeigt damit exakt die beängstigenden Tendenzen, die China weitgehend unbegründet unterstellt werden - nämlich hin zu gesellschaftlichen Zuständen, wie sie George Orwell in seinem apokalyptisch-visionären Roman „1984“ beschrieben hat.
Zum Mangel an staatlichem Schutz gegen Kriminalität und gegen Ausspioniertwerden treten noch Eingriffe in die freie Kommunikation im Internet, v. a. in sozialen Netzwerken. U. a. ist die dort praktizierte Zensur von Kommentaren nicht auf korrekte Regelanwendung überprüfbar. Die Machtkonzentration bei großen Suchmaschinen-Betreibern, bei Internetprovidern und bei sozialen Netzwerken eröffnet gezielte, gegen einzelne Personen gerichtete Manipulationsmöglichkeiten. Das erfuhr auch Donald Trump, als dessen Mitgliedskonten gelöscht wurden. Das kapitalistische Antikonzept der Oligopolbildung zieht im Bereich der Kommunikation eine Einengung der Meinungsfreiheit und die Möglichkeit der persönlichen Benachteiligung nach sich.
Auch kleinere Meinungsforen können zu Schauplätzen manipulativer Eingriffe werden, indem Schreiber dafür bezahlt werden, Kommentare mit tendenziöser Färbung im Internet abzusetzen. Umgekehrt können Beiträge/ Posts von Administratoren entgegen demokratischen Grundprinzipien gelöscht werden. Das geschieht unter Vorwänden, die man ebenfalls über eine Serie von gefakten Beiträgen provozieren kann, namentlich „Beleidigung“ – siehe Kapitel A 12. „Pressefreiheit im Kontext der persönlichen Freiheiten“. Hier besteht dringender Problemlösungsbedarf auf Basis der Einsicht, dass dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit ein Vorrang gegenüber dem Schutz vor verbaler Beleidigung zukommt. – Im klaren Unterschied dazu sind (wahrheitsverfälschende) Verleumdung, aggressive verbale Attacken, Gewaltdrohungen und (Selbst)tötungsaufrufe als tatsächliche Gewaltformen selbstverständlich rechtlich zu verfolgen.
Aktuell ist das Internet die wichtigste Arena, in welcher sich der historische Wettstreit zwischen Wahrheit, Aufrichtigkeit und Fairness auf der einen Seite und Manipulation, Verfälschung und Betrug auf der anderen Seite abspielt. Indem es dabei grundsätzlich um die Behauptungsfähigkeit des freiheitlich-demokratischen Systems (also des Schutzes vor autokratischer Unterdrückung) geht, muss die Problemlösung über die Befreiung der Kommunikation hinaus greifen. Demokratie stellt keine fertige Schablone dar, sondern ein Prinzip. Einmal im breiten Konsens als korrekt erkannt sind Prinzipien grundsätzlich feststehend, doch unterliegt ihre konkrete Anwendung auf das Zusammenleben zwangsläufig demselben Wandel wie das Zusammenleben selbst. Es muss folglich seinerseits als gültiges Prinzip erkannt werden, dass sich die Demokratie ständig weiterentwickeln muss, um unter den sich wandelnden gesellschaftlichen Anforderungen praxistauglich und überhaupt überlebensfähig zu bleiben. Nur in dieser lebendigen, anpassungsfähigen Form kann das demokratische Prinzip grundsätzlich unbegrenzt weitergetragen werden.
Der Notwendigkeit, die gesellschaftlichen Regeln dem geistigen Fortschritt der Menschen anzupassen, hatte bereits Thomas Jefferson Ausdruck verliehen: „I am not an advocate for frequent changes in laws and Constitutions. "But laws and institutions must go hand in hand with the progress of the human mind.“ - Ich bin kein Befürworter häufiger Veränderungen von Gesetzen und Verfassungen. Aber Gesetze und Institutionen müssen (sich) Hand in Hand mit dem Fortschritt des menschlichen Verstandes weiterbewegen. / Thomas Jefferson, zitiert auf www.keepinsiring.me
Die pluralistische Demokratie hat zur Formung politischer Parteien geführt, die jeweils ein Bündel von Programmpunkten, Ansichten und Wertvorstellungen anbieten, zwischen welchen der Bürger auswählen kann. Eine Möglichkeit, einzelne Programmpunkte aus den Bündeln zu befürworten und andere abzulehnen, besteht nicht. Doch sehen die Verfassungen vieler Staaten Abstimmungen zu Sachfragen vor, in der Schweiz bereits seit 1891. Auch in den USA existieren demokratische Initiativen in diese Richtung, und immerhin 23 Bundesstaaten haben inzwischen Elemente der direkten Demokratie eingeführt. In Europa gibt es unter insgesamt 43 Staaten nur zwei, in denen noch nie Abstimmungen stattgefunden haben, Deutschland und Monaco.
Direkte Demokratie hilft nicht nur das Bündel von Programmpunkten der Parteien aufzuschnüren, sie hilft auch, das Brechen von Wahlversprechen zu verhindern sowie den Einfluss von Lobbyisten zu begrenzen. Das Großkapital steht solchen Initiativen schroff ablehnend gegenüber. In den Medien erscheinen daher fast ausschließlich Beiträge von Autoren, welche allerlei scheinlogische Gegenargumente und Ausreden verkünden – während das Thema ansonsten in gewohnt ignorantem Stil ausgesessen wird.
Wie extrem dringend eine breit angelegte direkte Demokratie insbesondere in Hinblick auf den ausufernden Lobbyismus ist, haben u. a. die Langzeituntersuchungen von Prof. Martin Gilens, Princeton University in den Jahren 1981 bis 2002 gezeigt (am Schluss des Kapitels A 5. „Kollaboration ...“). Dessen Befunde über die Vernachlässigung nationaler Interessen zugunsten derjenigen von Großkonzernen bestätigen eindrucksvoll die Feststellung, dass ausschließlich Abstimmungen über Sachfragen oder Gesetze eine vollwertige Demokratie aus erster Hand repräsentieren. Die Wahl von Abgeordneten, also Vertretern des Vertrauens, welche im Namen ihrer Wähler über diese Sachfragen und Gesetze entscheiden, steht für Demokratie aus zweiter Hand. Diese indirekte Demokratie, in welcher maßgebliche Entscheidungen ausschließlich von gewählten Repräsentanten und Abgeordneten getroffen werden, trachten Kapitalisten zu erhalten und weiter auszubauen – um die grossen politischen Weichenstellungen über Lobbyismus und personalpolitische Manipulation selbst beherrschen zu können (siehe Beispiele in der 2. Hälfte des Kapitels A 17. „Establishment und Uniformität“).
Repräsentiert die Wahl von Abgeordneten bereits eine Demokratie aus zweiter Hand, so steht das Wahlverfahren für die Regierung der Europäischen Union, also die EU-Kommission, für Demokratie aus fünfter Hand: In einem Mitgliedsland wie Deutschland wählen die Bürger Parlamentsabgeordnete. Diese Abgeordneten wählen die Bundeskanzlerin/ den Bundeskanzler, der/die Minister ernennt. Bis dahin ist man schon bei Demokratie aus vierter Hand.
Die Regierungsmitglieder eines EU-Landes bestimmen einen Kandidaten, der als EU-Kommissar nach Brüssel gehen soll. Einziger demokratischer Lichtblick in dem Verfahren ist, dass die Abgeordneten des Europaparlaments die Möglichkeit haben, solche Kandidaten abzulehnen. Die sehr indirekte Art der Bestimmung von EU-Kommissaren steht in einem krassen Missverhältnis zu deren gewaltiger Machtfülle, welche neben der Funktion einer EU-Regierung auch das alleinige Initiativrecht für EU-Gesetzgebungsverfahren sowie weitere Einflussmöglichkeiten auf die Gesetzgebung umfasst. Das Prinzip der Gewaltenteilung wird ignoriert.
Die Auswirkung einer so mangelhaften Applikation demokratischer Grundprinzipien besteht darin, dass EU-Europa gegen den Bürgerwillen förmlich überflutet wird - mit Richtlinien = Vorgaben für die nationalen Parlamente, aus denen Gesetze gemacht werden müssen sowie mit Verordnungen = unabänderlichen Bestimmungen mit unmittelbarer Gesetzeswirkung.
Der mächtige Handlungsspielraum der EU-Kommission wird aber nur extrem schleppend für die Schaffung länderübergreifend einheitlicher Regelungen verwendet. Stattdessen kommt es zu einer ausufernden Akkumulation unnötig komplizierter bürokratischer Auflagen, welche die Wirtschaft behindern und die Menschen Zeit kosten.
Paradoxer Weise werden die wahren, nämlich die geheim gehaltenen Machtverhältnisse in diesem System ausgerechnet dann besonders klar sichtbar, wenn wortwörtlich entscheidende Vorgänge wie die „Verhandlungen“ zwischen amerikanischen Delegationen und der EU-Kommission über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU unter strenger Abschirmung der Öffentlichkeit stattfinden. Dann enttarnen sich diese als das was sie tatsächlich sind – eine Gesprächsrunde unter gleichgesinnten Vertretern des Großkapitals, die nur nach Wegen suchen, die sich in ihren Händen formende Machtverschiebung zu Lasten der demokratischen Nationen vor den Bürgern möglichst verborgen zu halten.
Im scharfen Kontrast zu EU-Politikern wusste Thomas Jefferson, Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, wie sehr es darauf ankommt, so wenig indirekte und so viel direkte Demokratie herzustellen wie möglich. „Every government degenerates when trusted to the rulers of the people alone. "The people themselves are its only safe depositories.“ – Jede Regierung degeneriert, wenn man allein den Herrschern über die Menschen vertraut, die Menschen sind selbst ihre einzige sichere Vertrauensinstitution. / Thomas Jefferson, Refernz www.keepinspiring.me
Jefferson hatte ein Zuviel an staatlicher Macht als die entscheidende Gefahr für die bürgerliche Freiheit erkannt und appellierte in weiser Voraussicht an die Wachsamkeit der Menschen, etwaigen Bestrebungen der Machterweiterung entgegenzutreten. „When the government fears the people, there is liberty. "When the people fear the government, there is tyranny.“ – Wenn die Regierung die Menschen/ Bürger fürchtet, besteht Freiheit. Wenn die Menschen/ Bürger die Regierung fürchten, besteht Tyrannei. / Thomas Jefferson, Referenz: s.o.
Ayn Rand sah das nicht anders und betonte, „...that the Constitution is a limitation on the government, not on private individuals - ... a charter of the citizen's protection against the government.“ – (Frei übersetzt) ..., dass die Verfassung eine Befugnisbegrenzung der Regierung darstellt, nicht eine des Individuums.- ... eine Urkunde für den Schutz des Bürgers vor der Regierung. Ayn Rand, The Virtue of Selfishness, New York 1980, Erstpublikation 1961, S. 133
Die demokratische Rangordnung zwischen Nation und Regierung wird bereits in der Präambel der Verfassung der Vereinigten Staaten eindeutig klargestellt: “We the People of the United States, … establish this Constitution for the United States of America”. – Wir, die Bürger der Vereinigten Staaten … richten diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika ein. – Das ist der eigentliche Kerngedanke der Demokratie: Die Nation ist Herrscher und daher richtet sie die Verfassung ein - also die Grundregeln des freiheitlich-demokratischen Staates. Ayn Rand wie auch Thomas Jefferson sahen die Notwendigkeit, dass die Bürger wachsam sein und ihre Vorrangstellung gegen undemokratische Machtansprüche gegebenenfalls couragiert einfordern müssen. “...The spirit of resistance to government is so valuable on certain occasions, that I wish it to be always kept alive." "It will often be exercised when wrong, but better so than not to be exercised at all.“ / Der Geist des Widerstandes gegen (die) Regierung ist in bestimmten Situationen so wertvoll, dass ich mir wünsche, dass sie immer lebendig bleibt. Er wird oft fälschlich ausgeübt , aber besser so als überhaupt nicht. / Thomas Jefferson, Referenz: www.keeepinspiring.me Hat man dabei das von Jesus Christus verkündete und auch von Mahatma Gandhi und Martin Luther-King vertretene Prinzip der Gewaltfreiheit vor Augen, bedeutet Widerstand konkret vor allem, Meinungsverschiedenheiten allein mit Argumenten auszutragen – und dabei in Ruhe auf die nächsten demokratischen Wahlen zu warten.
Es sind die Bürger der souveränen Nation, welche den Parlamentariern und den Regierungsverantwortlichen Kraft ihrer demokratischen Macht die Befugnisse und Positionen verleihen, nicht etwa schenken. Dementsprechend schulden diese Vertreter und Organe des Staates den Bürgern die Offenlegung ihrer Handlungen – viel weniger umgekehrt. Bislang gehen die Informationsflüsse sehr einseitig in die Richtung von den Bürgern zum Staat, so dass man sich mitunter mehr an Untertanen einer adeligen Obrigkeit erinnert fühlt als an die souveränen Herrscher im Lande. Der technische Fortschritt hat diese einseitigen Datenflüsse auf elektronischem Weg mit dem Resultat eines „gläsernen Bürgers“ noch bedenklich verstärkt.
Unterstellt man ein grundsätzliches Wohlwollen der Staatsvertreter gegenüber den einfachen Menschen, verkörpert der „gläserne Bürger“ das wünschenswerte Prinzip einer absoluten Transparenz – auszunehmen die Privatsphäre. Wer nichts Betrügerisches zu verbergen hat, dem kann die völlige Offenlegung seiner elektronisch erfassten Spuren (Einkaufs-Barcodes mit Datum, Uhrzeit, Zahlweise, Summe und Warendetails, Videoaufnahmen von Verkehrskameras, Tickets, Verbrauchsabrechnungen für Strom, Wasser, Gas, Internet usw.) keinen Schaden eintragen, solange die Daten allein den zuständigen Behörden zugänglich gemacht werden.
Das ist aber nur der eine Betrachtungswinkel, der andere zeigt, dass umgekehrt auf der Ebene der demokratischen Kontrolle der gewählten Vertreter durch die Bürger gewaltige Defizite bestehen, denn vom gläsernen Politiker sind die „westlichen“ Demokratien weiter entfernt denn je. In jeder demokratischen Wahl erbringen die Wahlberechtigten den Gewählten einen Vertrauensvorsprung, einen Blankoscheck. Nach den Grundregeln der Fairness schulden jedoch die so begünstigten Personen des politischen Establishments den Bürgern Beweise ihrer Vertrauenswürdigkeit. Wie diese Bringschuld technisch und organisatorisch am besten eingelöst werden kann, ist eine Frage an alle, die an einer harmonischen Weiterentwicklung des zwischenmenschlichen Miteinanders interessiert sind, auch und besonders an die Politiker selbst; der „gläserne Politiker“ ist dabei ein Schlagwort, an welchem grundsätzlich nichts vorbeiführt.
Wie auch der unbescholtene „gläserne Bürger“ hat derjenige Abgeordnete oder Minister nichts zu befürchten, der sich redlich um die Belange der Bürger kümmert und persönliche monetäre Interessen auf seine Dienstbezüge begrenzt. Konkret heißt das beispielsweise, dass die Steuererklärung öffentlich einsehbar sein muss, ebenso die Auszüge aller Konten, für welche Zugriffsberechtigung besteht. Gehen begründete Verdachtshinweise ein, muss ein Verantwortungsträger verschärft überwacht werden können.
In der vom Kapitalismus an der Weiterentwicklung gehinderten Demokratie fließen gewaltige Datenmengen überwiegend in die falsche Richtung. Das gilt namentlich für die Spionageaktivitäten der NSA und ihrer vier Schwesterorganisationen in Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Deren nicht demokratisch kontrollierte Überwachung von US-Bürgern und Bürgern anderer Staaten verstößt gegen Verfassungen, gegen Einzelgesetze und gegen das Prinzip der geschützten Privatsphäre. Diese Eingriffe stellen die legitime demokratische Machtstruktur auf den Kopf, denn es sind die mit vertrauter Macht ausgestatteten Politiker, die zu kontrollieren sind – viel weniger die Bürger. Das gilt erst Recht gegenüber Personen, die inoffizielle Macht ausüben, also gegenüber den ultrareichen Kapitalisten. Als Eigentümer zahlreicher und großer Wirtschaftsunternehmen besetzen diese eine besondere gesellschaftliche Stellung und sind damit Objekte eines berechtigten öffentlichen Interesses. Die Herstellung von Transparenz, namentlich ihrer Vermögensverhältnisse, stellt damit eine psychologisch wichtige Voraussetzung für den Aufbau von Vertrauen dar.
Viele der in Angriff genommenen demokratischen Initiativen bestehen schlicht im Nachholen von versäumten Selbstverständlichkeiten. Dazu gehört auch die Einführung demokratischer Elemente bei Stellenbesetzungen im öffentlichen Dienst. Tatsächlich freie Gesellschaften unterscheiden sich von leninistischen, faschistischen und anderen tribalistischen auch dadurch, dass Personen nicht nach ideologischen Kriterien und persönlicher Gunst in Führungspositionen aufrücken, sondern nach Qualifikation. Qualifikation kommt auf zwei Ebenen vor, einer fachlichen und einer Ebene des Vertrauens, wobei die fachliche Qualifikation über formale Leistungsbescheinigungen/ Bildungsabschlüsse oder aber durch erfolgreiche selbständige bzw. unternehmerische Tätigkeit nachgewiesen werden kann. Die Qualifikation auf der Ebene des Vertrauens umfasst eine demokratische Dimension mit Wahlen.
Fachliche Qualifikation muss überall dort ausschlaggebend sein, wo es um die Besetzung technischer oder sachorganisatorischer Positionen geht. Je mehr das Tätigkeitsprofil durch Koordination und Kommunikation mit Menschen geprägt ist, desto näher liegt eine zusätzliche Anwendung des demokratischen Wahlprinzips, indem sich die zukünftigen Untergebenen zwischen mehreren etwa gleich gut qualifizierten Personen entscheiden können.
Gegenüber früheren überschaubaren Stammesgesellschaften haben die Chancen heutiger Bürger, ihre politischen Vertreter aus persönlicher Anschauung kennenzulernen, drastisch abgenommen. Doch allein auf dieser Ebene ist es möglich, die notwendige demokratische Vorauswahl zu treffen, welche die Bürger vor solchen Personen schützt, die vorrangig aus Gründen des persönlichen Vorteils und der Selbstprofilierung auf die politische Bühne drängen und nicht, um für die repräsentierten Bürger einzutreten. Es muss ins politische Bewusstsein gelangen, dass die „westlichen“ Demokratien trotz ihrer verfassungsmässigen Checks and Balances (Gewaltenteilung) diesen zentralen Zweck des demokratischen Systems bisher nur unbefriedigend erfüllen, nämlich sicherzustellen, dass ausschließlich solche Personen zu realer Macht gelangen, denen die Bürger vertrauen können. - Vergleicht man insbesondere die USA in diesem wesentlichen - nämlich überlebenswichtigen, siehe Kapitel A 31. - Aspekt mit dem vermeintlich weniger freien und weniger demokratischen China, schneidet das Reich der Mitte bemerkenswert gut ab. Denn die „grassroot democracy" filtert auf der Ebene der lokalen Kandidatenaufstellung recht zuverlässig die vielen opportunistischen Personen (geschätzte 90 % weltweit) ab, bei denen der persönliche Vorteil Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft hat. Würde diese Vorselektion für den Zugang zur politischen Bühne im „Westen“ auch so gut funktionieren, hätten sich die Vertreter des grossen Geldes niemals einen dermaßen starken politischen Einfluss zu Lasten des demokratischen Staates verschaffen können – und es hätte sich nicht das wandelbare Selektionskriterium der sogenannten Political Correctness etablieren lassen, das in Wahrheit Gehorsamkeit gegenüber der Geldaristokratie bedeutet.
Für Arbeitnehmer bietet die Wiederherstellung der fairen Marktwirtschaft ein wachsendes Arbeitsangebot in einem auflebenden Sektor kleiner und mittlerer Betriebe und damit Aufstiegschancen in den Mittelstand. Jeder, der sich weiterbildet und höher qualifiziert, trägt mit seiner persönlichen Emanzipation gleichzeitig zu einer Höherentwicklung der Gesellschaft bei und damit auch zu
- einer Beendigung realer Machtentfaltung einer durch ihr Vermögensvolumen definierten Oberschicht
- einer weiter fortschreitenden Befreiung des selbständigen Mittelstandes von staatlichem Bürokratismus, unfairer Besteuerung und unfairem Wettbewerb durch Konzerne
- einer Weiterentwicklung der demokratischen Mechanismen
- einem Bildungsschub für alle Altersgruppen unter Schwerpunktverschiebungen innerhalb der Fächer und zwischen den Fächern (Geschichte als Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit psychologischer Hinterfragung der Machtstrukturen sowie Abbau des tribalistischen Personenkults, mehr Wirtschaftslehre und Fremdsprachen, neu: Psychologie)