Das Prinzip der Macht hatte seine historischen Ursprünge in der fairen Arbeitsteilung zwischen einfachen Bürgern und Führungspersonen, welche bei der Verteidigung der ersten Städte Koordinationsaufgaben übernahmen. Doch entsprechend der Gesetzmässigkeit der Selbstverstärkung entwickelte sich - historisch unvermeidbar - eine pyramidenartig aufgebaute, zunehmend starre Machthierarchie, in welcher wenige Herrscher alle anderen Personen in Abhängigkeit sowie in gegenseitigem Wettbewerb hielten. Diese Struktur überdauerte sogar die Ablösung der adeligen Feudalherrschaft, und zwar als inoffizielle, diskret funktionierende Machtpyramide des großen Geldes. Deren fortwährend erweiterter Einfluss, u.a. durch intensive Lobbytätigkeit, geht zwangsläufig zu Lasten der offiziellen demokratischen Macht der Bürger. Dazu boten die beiden Pandemie-Jahre 2020 und 2021 zusätzliche Gelegenheiten. So konnten die Pharma-Oligopole Extraprofite einfahren, während mittlere und kleine Wirtschaftsbetriebe besonders hart von bürokratischen Beschränkungen betroffen waren.
Damit wird das kapitalistische System seit der Privilegierung der East India Company am 31.12.1600 zunehmend zum historischen Störfall, der eine Höherentwicklung der Formen des menschlichen Zusammenlebens blockiert und mittlerweile in ihr Gegenteil verkehrt. Dieser negative Einfluss wiegt umso schwerer, als sich die Entwicklung der Gesellschaftsmodelle bereits vor dem Auftreten des Kapitalismus auf eine sehr unruhige, gewaltsame und damit dringend korrekturbedürftige Art und Weise abgespielt hat. Deren archaisches Grundmuster bestand darin, dass Völker mit weniger tauglichen Gesellschaftsmodellen hinter besser organisierten und dadurch stärkeren zurück blieben, von diesen gewaltsam verdrängt wurden und auf dem Friedhof der Geschichte endeten. In Anbetracht fortschreitender Waffentechnik musste man jedoch in den zivilisierten Nationen schon längst erkannt haben, dass der tragische Rhythmus aus Aufbau und Zerstörung durch eine gewaltfreie Alternative zu ersetzen ist. Diese kann namentlich darin bestehen, die Evolution der Gesellschaftsformen zukünftig als Ideenevolution zu betreiben. Dazu arbeitet jede Nation selbstbestimmt daran, die Formen ihres innergesellschaftlichen Zusammenlebens wie auch die ihres internationalen Auftretens weiterzuentwickeln. So wird das plumpe Versuch- und Irrtum Prinzip hinfällig, nach welchem Gesellschaften unter Blutvergießen auf die historische Bühne traten und - unter noch größerem Blutvergießen - wieder verschwanden.
Allerdings hat die Verbreitung des gewaltfreien Evolutionsmodus zur Voraussetzung, dass das Selbstbestimmungsrecht der Nationen – endlich! - weltweite Geltung verschafft wird - wie es die UN-Charta in ihrem Artikel 1 Absatz 2 bereits seit 1945 verkündet. Die Auswahl und Weiterentwicklung gesellschaftlicher organisatorischer Modelle ist danach allein eine innere Angelegenheit jeder Nation, in die von außen keine Einmischung zusteht (Souveränitätsprinzip). Indem ein friedliches Evolutionsmuster innerhalb garantierter Grenzen das gewaltsame ersetzt, lösen nicht mehr verschiedene Nationen in blutigen historischen Brüchen einander ab, sondern jede von ihnen unterzieht sich und ihr Gesellschaftssystem einer stetigen Weiterentwicklung. Indem effizientere Lösungen auch in anderen Ländern Nachahmer finden, wird zugleich die weltweite Kompatibilität verbessert.
Die Souveränität und Nichteinmischung von außen bedeutet innenpolitisch eine völlige Selbstverantwortung, unter der jede Gesellschaft auch sämtliche Konsequenzen aus ihren Entscheidungen selbst tragen muss, namentlich Übervölkerung, ökologische Zerstörung, Verarmung und Freiheitseinschränkungen. Im gewaltfreien Wettbewerb der Gesellschaftsmodelle behaupten sich ganz automatisch die authentisch freiheitlichen und lassen alle leninistischen, faschistischen, doktrinär-religiösen, kapitalistischen oder einfach nur „pragmatisch“-prizipienlosen weit hinter sich.
Diese absolut naheliegende Möglichkeit, die Evolution der Gesellschaftsmodelle im gewaltfreien Modus zu betreiben, ist während der kapitalistischen Ära systematisch aus dem Blickfeld gehalten worden. Ganz im Gegenteil ist ein Anwachsen militärischer Gewaltanwendung zu verzeichnen, namentlich in Form bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen. In den 1970er und 1980er Jahren wurde dieses Menschen verschleißende Evolutionsmuster von der Sowjetunion vor allem in Afrika bedient, indem leninistische Aufständische mit Waffen beliefert wurden. Der elementare Fehler der USA (richtiger die kapitalistische Fehlprogrammierung der USA) bestand darin, darauf nicht auf der argumentativ-weltanschaulichen und modellbietenden Ebene reagiert zu haben, also mit Überzeugungsarbeit und mit forcierter Höherentwicklung demokratisch-marktwirtschaftlicher Länder zu mustergültigen, nachahmenswerten Vorzeige-Gesellschaften, sondern ihrerseits mit Waffenlieferungen und militärischer Beratung zugunsten von Gegenkräften. Den auf diese Weise in einem irrationalen, rückständigen Status gehaltenen Menschen war es unmöglich, die wichtige Schwelle zu erkennen, hinter welcher eine zutiefst unmoralische Manipulation durch die politische Führung beginnt – und zwar dann, wenn die Bürger darauf dressiert werden, die Ideologie ihrer Gesellschaftsordnung mit Waffengewalt zu verbreiten.
Im freiheitlich-demokratischen Umfeld hätte diese Indoktrinierung (nicht etwa rationale Überzeugung) als unmoralisch identifiziert und angeprangert werden müssen, insbesondere dort, wo wie in Korea, Vietnam und Deutschland, Menschen derselben Nation auf beiden Seiten einer willkürlichen Grenze gegeneinander emotionalisiert worden waren, und zwar bis zur Bereitschaft, die zu Feinden erklärten Landsleute „notfalls“ zu töten und dabei das eigene Leben zu riskieren. Die manipulierten Bürger und Soldaten wurden unter Ausnutzung des psychologischen Abwehrmechanismus der „Identifikation mit dem Gegner“ (hier: mit dem Besatzer) manipuliert, was im Falle Koreas besonders unmoralisch war. Denn das während des 2. Weltkrieges japanisch besetzte Land wurde zwar befreit, dann aber zwischen den Siegern wie eine Beute geteilt (worin man eine historische Parallele zur unwürdigen Behandlung der befreiten Sklaven durch Unionsmilitär im Amerikanischen Bürgerkrieg sehen kann – siehe Kapitel A 21.). Auf jeder Seite der Grenze arrangierten sich die Menschen mit der ungebetenen Macht, indem sie unter dem psychologischen Anpassungsdruck ihre Ideologie mitsamt dem zugehörigen Vokabular brav angepasst übernahmen.
Die unmoralische Manipulation und die mit ihr praktizierte „Befreiung“ anderer Länder widerspricht dem Stabilitätsprinzip der Nichteinmischung nach Artikel 2 der UN-Charta. Nach diesem darf eine souveräne Gesellschaft auch ihre eigenen Maßstäbe für das anlegen, was sie als erstrebenswerte Freiheit ansieht. Als Weltmacht und Vertreter der freiheitlichen Demokratie hätten die USA schon längst mit geeigneten Initiativen und psychologischen Mitteln auf die konsequente Applikation des Selbstbestimmungsrechts hinwirken müssen. Stattdessen hat die Supermacht dort, wo dieses Recht per Parlamentsbeschluss und Volksreferendum in einer Notwehrlage gegen Diskriminierung wahrgenommen wurde, nämlich 2014 auf der Krim, tatsachenverfälschend einen aggressiven Akt unterstellt und dadurch Spannungen produziert (Kapitel A 22. gegen Schluss). Der künstliche Disput wirkt bis in den Ukraine-Krieg hinein und birgt das Potenzial für eine Eskalation zum Atomkrieg (siehe Kommentar D 1.). Nach dem Selbstbestimmungsprinzip haben selbsternannte Befreier (wie im August 2021 die Taliban) als eine ihrer ersten Maßnahmen der Bevölkerung die Gelegenheit zu verschaffen, frei über ihr gewünschtes Gesellschaftsmodell abzustimmen. Denn nur so konnte und kann der in der UN-Charta vom Juni 1945 erklärten Absicht entsprochen werden, internationale Auseinandersetzungen von der kriegerischen Ebene auf eine gewaltfreie, prinzipienorientierte Ebene zu heben. „Article 1 The Purposes of the United Nations are: - To maintain international peace and security, and to that end: to take effective collective measures for the prevention and removal of threats to the peace, ... - To develop friendly relations among nations based on respect for the principle of equal rights and self-determination of peoples, ...
Article 2 The Organization and its Members, in pursuit of the Purposes stated in Article 1, shall act in accordance with the following Principles. ... The Organization is based on the principle of the sovereign equality of all its Members. ... All Members shall settle their international disputes by peaceful means ... All Members shall refrain in their international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any state, ...“
“. (Heraushebungen nachträglich) – Artikel 1. Die Anliegen der Vereinten Nationen umfassen: Den internationalen Frieden und die Sicherheit zu bewahren und für dieses Ziel: effektive kollektive Maßnahmen zu ergreifen, um Bedrohungen des Friedens vorzubeugen und diese zu beseitigen, ... Freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln, die auf dem Respekt vor dem Prinzip der rechtlichen Gleichstellung und (der) Selbstbestimmung der Völker basieren, ... Artikel 2. Die Organisation und ihre Mitglieder sollen, in Verfolgung der in Artikel 1. erklärten Ziele, im Einklang mit den folgenden Prinzipien handeln. ... Die Organisation basiert auf dem Prinzip der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder. ... Alle Mitglieder sollen ihre internationalen Meinungsverschiedenheiten mit friedlichen Mitteln beilegen. ... Alle Mitglieder sollen davon Abstand nehmen, in ihren internationalen Beziehungen Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit irgendeines Staates anzudrohen oder zu gebrauchen. / United Nations Charter, Chapter I: Purposes and Principles, San Francisco, CA, 1945
Doch statt diesem globalen Aufruf zur Friedenssicherung durch konsequente Applikation namentlich des Selbstbestimmungsrechts Geltung zu verschaffen, haben die rivalisierenden Supermächte USA und Sowjetunion den harmonischen Ansatz jahrzehntelang missachtet – zum einseitigen Schaden der USA und des „Westens“, aber auch der leninistischen Experimentier-Nationen.
Die Evolution der gesellschaftlichen Organisationsformen wurde dadurch von den Möglichkeiten der gewaltfreien Ideenevolution weg- und stattdessen auf die primitive Stufe eines „Kampfes des Systems" herabgezogen. Ebenso wurden moderne psychologische Erkenntnisse nicht dazu verwendet, die Menschen auf eine höhere Bewusstseinsstufe zu führen und ihnen Möglichkeiten der Weiterentwicklung zu bieten, sondern um sie noch effektiver zu indoktrinieren und gegeneinander zu emotionalisieren (vgl. Versuche Stanley Milgrams in Kapitel A 1).
Wenn die Aktivitäten islamistischer Milizen gleichfalls der aggressiven Leitidee folgen, die eigene Weltanschauung mit militärischen Mitteln ausbreiten zu wollen, entspringt das zwar auch einer djihadistischen Auslegung des Islam, vor allem aber systematischer Indoktrinierung während der sowjetischen Invasion 1979 bis 1989 in Afghanistan. In diesen Jahren wurde das Land zu einer bis heute unerschöpflichen Quelle des militanten Islamismus „entwickelt“, indem die CIA islamistische Milizen gegen die Sowjets bewaffnete und ausgebildete, während arabisch finanzierte Madrassas für die religiöse Fanatisierung sorgten (siehe Kapitel A 23.). Die damals adressierte rückständige Ideologie, nach der weltanschauliche Meinungsverschiedenheiten mit Waffengewalt ausgetragen werden, findet in dem aktuellen Auftreten der Taliban lediglich ihre fortgesetzte Anwendung.
Der militärische Erfolg gegen die Sowjets – diese gaben 1989 auf - hat das Selbstvertrauen der Islamisten beflügelt und viele dazu ermutigt, noch radikalere Gruppen zu bilden, die sich zu einem Djihad aufgerufen fühlen, einem heiligen Krieg für den Islam. Für diese radikale Strömung hat vor allem der Prediger Abdullah Azzam in den 1980er Jahren die ideologische Basis geliefert. Nach seiner Lehre stellt der Djihad auch als Eroberungskrieg ein legitimes Mittel dar, um das salafistische Gesellschaftsmodell in aller Welt zu verbreiten – siehe auch Anhang C 6., letztes Drittel. „The Jihad in Afghanistan will broaden until the entire world will be conquered because Allah has promised the victory to Islam, … Jihad means fighting. You must fight in any place you can get. Jihad … means the obligation to fight. It does not mean to fight with the pen or to write books or articles in the press or to fight by holding lectures." – Der heilige Krieg in Afghanistan wird sich ausweiten, bis die ganze Welt erobert sein wird, weil Allah den Sieg des Islam versprochen hat, … Djihad bedeutet Kämpfen. Du musst in jedem erreichbaren Gebiet kämpfen. Djihad … bedeutet die Verpflichtung zu kämpfen. Er bedeutet nicht, mit dem Schreibstift zu kämpfen oder Bücher oder Presseartikel zu schreiben oder durch das Halten von Vorträgen zu kämpfen. / Steven Emerson, Abdullah Azzam,.in IPT The Investigative Project on Terrorism, Referenz www.investigativeproject.org/profile/103/abdullah-azzam
Ebenso wie Afghanistan ab 2001 durch die USA ungebeten eine westliche Demokratie übergestülpt wurde, wurde dem Land 2021 durch die Taliban ein salafistisches Gesellschaftsmodell aufgenötigt - jeweils unter der doktrinären Verkündigung, dass nur eine gültige und korrekte gesellschaftliche Organisationsform existiert, nämlich die der „Befreier“. Der schon seit Jahrzehnten ausweichende Umgang der US-Regierungen mit dem Selbstbestimmungsprinzip (gemäß Artikel 1 der UN- Charta) wurde auch in einer Verlautbarung aus September 2021 bestätigt. Dieser zufolge würde eine Anerkennung der Taliban-Regierung von der „Einhaltung von Menschenrechten“ abhängig gemacht werden. Das ist eine Aussage, welche alle 30 Artikel der UN-Menschenrechtserklärung undifferenziert zusammenfasst, von denen mindestens die Artikel 2. (Diskriminierungsschutz u.a. von Frauen), 7. (Gleichheit vor dem Gesetz, ebenfalls bezogen auf Frauen) und 16. (Geschlechtergleichheit bei Eheschließung und Scheidungsverfahren) im Widerspruch zu einer salafistischen Staatsorganisation (also mit der Scharia als Rechtsordnung) stehen.
Es wäre daher angebracht gewesen, die Islamisten speziell auf die genannten drei Artikel anzusprechen, ebenso auf Artikel 18. (Glaubensfreiheit), um damit zugleich die alltägliche Diskriminierung von Andersgläubigen in vielen islamischen Ländern abzumahnen (was die USA und die EU jahrzehntelang versäumt haben). Vor allem aber wäre Artikel 21. der Menschenrechtserklärung zu fokussieren gewesen, welcher den Bürgern einen Anspruch auf politische Mitentscheidung in Wahlen zubilligt und damit auf jenes Recht, welchem auf der Völkerrechtsebene das Selbstbestimmungsprinzip nach Art. 1 der UN-Charta entspricht. –Allein durch dessen konsequente, authentisch freundschaftliche und qualifizierte Applikation im Afghanistaneinsatz ab 2001 wären gigantische Schäden vermeidbar gewesen, nämlich erstens die Auslöschung von rund 200.000 Menschenleben im „Krieg gegen den Terror“, zweitens die Rückwärtsentwicklung des Landes, drittens Kosten in Höhe von fast einer Billion (amerikanisch one trillion) Dollar, viertens die Beflügelung des militanten Islamismus und fünftens der Imageverlust der USA, der freiheitlichen Demokratie sowie der gesamten modernen Zivilisation. Noch nicht absehbar ist der Schaden durch Ablenkung von den eigentlichen Ursachen des militanten Islamismus, die sich nicht mit militärischen Mitteln beseitigen lassen (siehe Anhang C 6.).
Indem der Welt eine Ordnungsmacht im Modus der Inkompetenz präsentiert wurde, deren Rangposition man ungestraft herausfordern darf, war der Sieg der militanten Salafisten in Afghanistan wesentlich mehr als nur eine einzelne militärische Niederlage der USA. Vielmehr war es der abschließende Bankrott nach 76 Jahren vom großen Geld manipulierter Prinzipien ferner Nachkriegspolitik. Die klaffende Lücke zwischen dem einstmals enormen moralischen und wirtschaftlichen Potenzial der Supermacht einerseits und dem faktisch von ihr hinterlassenen weltweiten Chaos andererseits, steht daher auch für mehr als nur eine Vergeudung der Lebenskraft dreier Generationen - sie bedeutet den Zusammenbruch des globalen Sicherheitsgefüges. Denn der für das finale amerikanische Scheitern ursächliche Kapitalismus (definiert als inoffizielle Macht des grossen Geldes), läuft nach Akkumulation riesiger Widersprüchlichkeiten seinerseits in ein alles destabilisierndes Timeout. Fataler Weise wird der nun unvermeidbar bevorstehende grosse Umbruch aber weder von den Bürgern, noch vom politischen Establishment erkannt - und damit auch nicht die aktuell extreme Bedrohung des Weltfriedens.
Diese Gefahr wäre sofort gebannt, würde ihre eigentliche, in kapitalistischen Manipulationen (namentlich auch des politischen Bewusstseins der Menschen, also des „Zeitgeistes“) liegende Ursächlichkeit von den Bürgern erkannt werden. Doch steht dem die fortwährende Verschleierung des wahren Charakters des Kapitalismus und seines vielfältigen Zugangs zu Machtmitteln entgegen. Damit aber konnte auch der erschütternde Mangel an aufrichtiger Solidarität der Mächtigen gegenüber allen Menschen unterhalb der Spitze der Machtpyramide nie ins klare Bewusstsein gelangen. Die Vertuschung gelang insbesondere dadurch, dass sich die Kapitalistenherrschaft, soweit überhaupt, aus jeder Blickrichtung anders zeigt, so dass keine politische Gruppierung das komplette Bild einfängt.
Beispielsweise wird die Bedrohung des Friedens durch die Herrschaft des grossen Geldes zwar vom politisch linken Flügel aus wahrgenommen, kaum aber in der Mitte, wo sich besonders unter sogenannten Neokonservativen ein hypokritisch-aggressiver, russland- und chinafeindlicher Militarismus breitmacht. Andererseits neigen Linke zu einer groben Verharmlosung der Verbrechen des Leninismus-Stalinismus, weil ein darauf zugeschnittener Mediensektor Zweifel an entsprechenden historischen Dokumentationen nährt. Da sie dadurch auch weitgehend blind für die objektive ideologische Nähe zwischen Stalinismus und Raubtierkapitalismus sind (Punkte 1. Bis 12. im Anhang C 4.), fehlt ihnen oft die Sensibilität für den teilweise manipulierten Charakter der US-Militäraktionen. Eine noch weitaus offenkundigere und gefährlichere Fehlwahrnehmung der Realität findet sich „traditionell“ in den Köpfen extremer Rechter, welche Vertreter der superreichen Finanzdynastien und Juden schon seit Langem pauschal zusammenfassen und die so Zusammengefassten mit Hass und Gewalt verfolgen. Dieses altbekannte Phänomen erhält jedoch mit jüngeren Entwicklungen Zulauf von mehreren ganz anderen Seiten.
Eine der neuen Gruppen wird von muslimischen Migranten gebildet, eine zweite von westlichen Bürgern, die ihre israelfeindliche Haltung ohne genügende Kenntnisse der historischen Hintergründe übernehmen. Eine dritte Gruppe besteht aus gebildeten und wachsamen Personen aller politischer Richtungen, welche den weltweiten Manipulationen des großen Geldes misstrauen. Wie die Neonazis unterstellen aber auch diese, dass Juden und Mitglieder der Finanzdynastien eine solidarische Einheit bilden - weil die Medien diese Sicht subtil nahelegen.
Seit einigen Jahren informieren sich immer mehr freiheitsbesorgte Menschen über die Machenschaften im Hintergrund der grossen Politik, doch ahnen sie nicht, dass diese Aufklärung, so notwendig sie einerseits ist, zugleich tiefer in die gesellschaftszerstörende Falle des Antisemitismus führt, wenn diese nicht umgehend als solche erkannt wird. Die Funktionsgrundlage dieser Falle besteht darin, dass alle Welt die Hochfinanz für den Freund und Beschützer des Volkes Israel halten muss. Diese Fehleinschätzung wird nicht nur über die Medien genährt, sondern auch durch auffällig inszeniertes, für die Bürger unübersehbares Engagement einer neokonservativen, angeblich pro israelischen (in Wahrheit aber Israel auf einen selbstzerstörerischen Kurs führenden) finanzstarken Lobby in den USA. Dort darf Israel auch die modernsten Waffensysteme kaufen, während der Kongress in arabischen Ländern Beschränkungen setzt.
Doch wie Korea, Vietnam und viele afrikanische und mittelamerikanische Beispiele gezeigt haben, kann einer Nation kaum etwas Schlimmeres passieren, als von den Epizentren der kapitalistischen Macht, insbesondere von den USA, beschützt zu werden – indem die Resultate regelmässig auf gänzlich andere wahre Ziele schliessen lassen. Die seit vielen Jahren schwindende moralische Rückendeckung, die Israel im „Westen“ genießt, gibt daher Anlass zu besonderer Wachsamkeit, denn dieser Wandel vollzieht sich wohlgemerkt in einem politischen Ambiente, das weithin von den Medien des Großkapitals geprägt wird, der „people who own the society“ nach Noam Chomsky.
Die mangelhafte Bereitschaft, der jüdischen Heimstatt auf überlebenswichtigen Ebenen Unterstützung oder wenigstens Fairness zukommen zu lassen, ist in den Zirkeln der realen Macht allerdings bereits seit rund hundert Jahren „Tradition“. In Kapitel B 7. wurde festgestellt: „Ein Blick in die Geschichte Israels bestätigt den Verdacht, dass von einer solidarischen Wahrnehmung tatsächlicher jüdischer Sicherheitsinteressen seitens der Geld Magnaten kaum jemals die Rede sein konnte“. Im Gegenteil lief namentlich die Politik Grossbritanniens und der USA bis zum Ende des 2. Weltkrieges sowie die des danch entstandenen neuen kapitalistischen Machtzentrums, der UNO, auf eine zunehmende Diskriminierung und existenzielle Gefährdung Israels und jüdischer Bürger hinaus – siehe Kapitel B 10.